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Babys möchten getragen werden

 

Junge Eltern fragen sich in der Regel schon lange vor der Geburt ihres Kindes, was sie denn alles an Ausstattung benötigen. Die Frage: Welches Kinderwagenmodell passt zu uns am besten? spielt Hierzulande meist eine größere Rolle als die grundsätzliche Frage: Brauchen wir überhaupt einen Kinderwagen? Wenn ja, warum? Und wenn nicht, was brauchen wir dann?

 

Seit etwa 140 Jahren gibt es Kinderwagen für Säuglinge – und die haben sich in Europa schnell für den Transport von Babys durchgesetzt, auch wenn vor gut 40 Jahren das Tragen von Babys mit einem Tragetuch wiederentdeckt wurde. Natürlich wurden Babys und Kinder immer mehr oder weniger viel getragen – im Arm von Mama oder Papa oder auch mit einer Tragehilfe. Bevor es Kinderwagen gab, haben sich die Mütter ihre Babys auch in Europa mit Tüchern umgebunden, wie das heute noch in vielen Kulturen der Welt gemacht wird und so langsam auch hier wieder nicht mehr ungewöhnlich ist.

 

Aber warum sollte ich ein Baby tragen, wenn ich es doch so bequem in einen Wagen legen und schieben kann?

 

Babys haben ein großes Bedürfnis nach Nähe und Körperkontakt. Das Tragen bietet dem Kind Sicherheit. Es weiß: hier bin ich geborgen, meine Mama (oder mein Papa) ist da und passt auf mich auf. Langfristig  fördert dieses Vertrauen, nicht alleine gelassen zu werden Eigenständigkeit und Selbstvertrauen des Kindes.

 

Getragen werden beruhigt ungemein. Durch die Nähe kann sich das Baby an Gefühle aus dem Mutterleib erinnern. Es hört den Herzschlag und die Stimme der Mutter, spürt ihre Atmung und es wird durch die Bewegung geschaukelt. Es riecht seine Mutter und wenn das Kind die Augen öffnet, kann es das Gesicht seiner Mutter sofort erkennen.  Und durch einen direkten Hautkontakt werden stressabbauende und bindungsfördernde Hormone ausgeschüttet.

 

Nicht nur die Hormone fördern die Eltern-Kind-Bindung. Auch dadurch, dass das Kind durch das Tragen direkt dabei ist, erkennen die Eltern seine Signale besser und können sensibler darauf reagieren. Die Kommunikation von Säuglingen ist eine (Körper-)sprache, die Eltern mit Zeit und Aufmerksamkeit erlernen können und so die Bedürfnisse ihrer Kleinen meistens recht gut erkennen können. Insbesondere Väter profitieren vom regelmäßigen Tragen, da sie so ihrem Kind nah sein können, es besser kennenlernen und so auch eine gute Bindung aufbauen können.

 

Weitere Gründe für das Tragen von Babys ist die Anregung des Gleichgewichtssinnes durch die Bewegung. Schaukeln beruhigt nicht nur, sondern so wird durch die Stimulation des Gleichgewichtssinns die motorische Entwicklung des Kindes gefördert, was für das spätere Krabbeln und Laufen lernen von Vorteil ist. Und natürlich ist das Tragen mit einem Tuch oder einer Tragehilfe auch praktisch für die Eltern, da sie so ja beide Hände frei haben und etwas tun können, im Gegensatz zum Schieben eines Kinderwagens, Schaukeln einer Wiege oder Tragen in den Armen. Eine Tragehilfe welcher Art auch immer nimmt außerdem in kleinen Wohnungen oder Autos auch bei Weitem nicht so viel Platz weg wie ein Kinderwagen.

 

Evolutionsbiologisch gesehen ist es erwiesen, dass der Mensch ein Tragling ist. Die Babys wurden von unseren Urahnen, die sich vom Vierfüßer zum Zweibeiner entwickelten ganz natürlich getragen. Übrig geblieben ist hiervon noch der Greifreflex bei Neugeborenen und die sogenannte „Spreiz-Anhockstellung“ der Beine, also die natürlichen Beinhaltung von Säuglingen, bei der die Beine angewinkelt und gespreizt sind. Dies ist notwendig für einen aktiven Sitz etwas älterer Säuglinge auf der Hüfte der Eltern. Getragen werden entspricht also seit Millionen von Jahren der natürlichen Art, als Säugling zu überleben. Ohne diese Voraussetzungen würden wir heute nicht leben. Unsere Urahnen in der Steinzeit hätten sehr wahrscheinlich in der rauen Wildnis nicht überlebt, wenn sie als Säugling in einen Wagen oder ein Bett gelegt worden wären.

 

Um beim Thema „Spreiz-Anhockstellung“ zu bleiben… Die Wirbelsäule von Babys ist noch gerundet und nicht in der für Erwachsene physiologischen Doppel-S-Form. Die Hüfte von Babys ist somit anatomisch auch in einem anderen Winkel, als beim Erwachsenen, woraus sich die oben beschriebene Spreiz-Anhockstellung ergibt. Das heißt, die Rückenlage ist nicht die natürliche vorgesehene Position eines Säuglings, sondern genau diese Spreiz-Anhockstellung, die durch richtiges Tragen quasi automatisch unterstützt wird. Da die Hüfte des Säuglings erst bis zum 9. Lebensmonat knöchern ausreift, begünstigt das Tragen die korrekte Hüftstellung und kann als Prophylaxe für Fehlstellungen und daraus resultierende orthopädische Behandlungen angesehen werden.

 

Manche Vorbehalte gegen das Tragen halten sich leider hartnäckig in so manchen Köpfen. Zum Bespiel, dass die Wirbelsäule des Kindes durch das aufrechte Tragen zu stark belastet wird. Dies konnte in Studien nicht nachgewiesen werden, aber natürlich muss die Wirbelsäule mit einer geeigneten Trage unterstützt werden. Und die im Verdacht stehende schlechte Sauerstoffversorgung des Kindes ist im Tragetuch in etwa genauso gut, wie wenn das Kind im Kinderwagen liegt.

 

Rückenschmerzen oder Schulterverspannungen der Mutter können natürlich schon mal auftreten, aber hier kann sicher eine Trageberatung helfen; es gibt so viele verschiedene Tragetücher und -hilfen auf dem Markt, da ist es hilfreich, verschiedene Modelle oder andere Trageweisen unter fachkundiger Unterstützung einmal auszuprobieren. Mütter, die ihre Kinder von den ersten Tagen an tragen stärken langfristig dadurch auch ihre Muskulatur und können ihre an Gewicht zunehmenden Kinder dann in der Regel auch noch gut tragen, wenn sie schon kleine Brummer sind. Wer erst spät anfängt, hat in diesem Bereich eher einen Nachteil.

 

Was ist beim Tragen noch zu beachten? Kinder werden immer zur Person, die es trägt gewandt in die Tragehilfe gesetzt und ganz sicher nicht nach vorne schauend. In diesem Fall hängen die Kinder nämlich in der Trage und sitzen nicht darin, das ist schlecht für die Hüftentwicklung und ein zu hoher Druck auf die Genitalien. Der Rücken wird unnatürlich nach hinten gestreckt und die Kinder sind allen Sinneseindrücken schutzlos ausgeliefert, da sie sich nicht bei Mama oder Papa „verstecken“ können. Das kann eine Reizüberflutung und somit ein ungünstiges Schlafverhalten mit sich bringen. Rücken und Nacken sollte durch die Tragehilfe oder das stramm gebundene Tuch gestützt werden. Und wenn dann noch auf die Spreiz-Anhockstellung geachtet wird, steht dem Tragevergnügen nichts mehr im Weg.

 

Ich wünsche allen jungen Eltern eine wunderschöne Tragezeit! Und noch etwas: sein Kind zu tragen ist nicht nur gut für das Kind und wunderschön für die Eltern, aber es heißt nicht, dass man nie den Kinderwagen nutzen kann/darf/soll. Das müssen alle Eltern natürlich selbst entscheiden.

 

Quelle und Literaturtipp:

Kirkilionis, Evelin: Ein Baby will getragen sein. Kösel Verlag, München, 2013.

 

 

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